Kreisverwaltung Potsdam-Mittelmark: Offener Brief an Kreistagsabgeordnete

Potsdam-Mittelmark, Bad Belzig. Buntes Markttreiben sieht anders aus. Auf dem Wochenmarkt in Bad Belzig am vergangenen Dienstag war es nämlich relativ leer, während sich am Stand von Bürgermeister Roland Leisegang die Menschen drängten. Alle waren gekommen, um ihre Unterschrift für den Erhalt der Kreisverwaltung abzugeben. Viele hatten dies schon vorab getan, entweder online oder in den verschiedensten Geschäften der Stadt.

„Es ist doch alles da, die Verbindungen sind gut, es wurde schon zu viel ausgesourct“, so Reinhild Lautenbach. Muss man erst nach Beelitz, kann man zwar mit dem Zug fahren, hat aber dann noch eine Laufstrecke vor sich. „Viele ältere Bürger sind dazu gar nicht mehr in der Lage“, sagt sie und setzt ihre Unterschrift auf die Liste. „Das Geld wäre woanders besser und auch nötiger“, meint Gundula Wüstenhagen, „Zum Beispiel für Schulen, Kitas, die jetzt im Gespräch befindliche Turnhalle, wir haben so viel Gemeinnützigkeit.“

Die Geschäftsstellenleiterin der Barmer sieht es täglich, wie Bad Belzig genutzt wird. Viele ihrer Kollegen kommen aus Sachsen-Anhalt. Die erledigen natürlich ihre Einkäufe gleich in der Stadt und gehen nicht nochmal los, wenn sie zu Hause sind. Viele nutzen nach der Arbeit obendrein die Steintherme zur Erholung.

„Es ist fürchterlich, wenn es so kommt“, meint auch Hannelore Kählitz. „Man könnte nur noch heulen“, sagen Angelika und Dieter Paries. Viele befürchten auch die Aberkennung als Heilbad, denn auch das bringe ja Punkte. Unverständnis macht sich auch über die Einstellung der „Grünen“ breit, denen es laut Presseberichten fast nur darum geht, dass der Neubau energetisch vernünftig ist.

Aber auch Nicht-Belziger leisteten ihre Unterschrift. Wie Karin Lehmann aus Dortmund. Sie ist gerade mit einer Wandergruppe unterwegs und begeistert von der kleinen Stadt. „Der Tourismus hängt auch viel an der Verwaltung“, sagt sie. Bürgermeister Roland Leisegang denkt sogar an rechtliche Schritte, sollte der Umzug beschlossen werden.“ Ein derartiges Verfahren wurde noch nie exerziert, aber wir müssen uns so gut es geht wehren“, so Leisegang. Die Aussicht auf Erfolg sieht er mit einem alten Sprichwort:

„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“.

Der Bürgermeister findet die ganze Sache eh etwas schräg. Er ist sich sicher, dass die ganze Aktion von langer Hand vorbereitet ist und nun ans Tageslicht kommt. Vor allem wird gar nicht über die nicht unerheblichen finanziellen Mittel gesprochen, die der Neubau mit sich bringt. Der Verwaltungssitz wurde damals nach Bad Belzig verlegt um die Region zu stärken. So beschlossen von den Kreistagsabgeordneten, die mit ihrer Entscheidung für Beelitz ihren eigenen Beschluss Lügen strafen würden. Auch die Zahlen belegen, dass Bad Belzig strukturschwächer ist. Gerade auch deshalb kann Roland Leisegang das Ganze nicht verstehen.

Vor allem gibt es viele Dinge, die bei dem Vorschlag gar nicht betrachtet wurden, wie zum Beispiel die Digitalisierung. Leisegang ist dabei, interkommunale Zusammenarbeit zu entwickeln. Auch sei die Kreisverwaltung ein Zuzugskriterium. Und das nicht nur für Einwohner. Der Gewerbeverein sieht die Verlegung als möglichen Todesstoß für die Region. Zumal eine Erweiterung der Verwaltung in Bad Belzig gar nicht zur Debatte steht und gar nicht diskutiert wird. Bauflächen dafür sind jedenfalls vorhanden. Die Folgen sind noch gar nicht absehbar und werden sich erst im Laufe der Zeit bemerkbar machen. Simone Lüdicke vom Gewerbeverein sieht nicht nur den Kaufkraftverlust, sondern einen ganzen Rattenschwanz, der sich hinterher zieht, angefangen von gesundheitlicher Betreuung bis hin zu Banken oder auch der Agentur für Arbeit. Auch neue Geschäfte, ja selbst Supermärkte wie REWE, würden sich dann überlegen, ob sie sich in Bad Belzig festsetzen. Und einige kleinere Geschäfte werden wohl auch eine Geschäftsaufgabe in Betracht ziehen. Deshalb hat der Gewerbeverein sich mit folgendem offenen Brief an die Kreistagsabgeordneten gewandt.

Offener Brief an die Kreistagsabgeordneten

Sehr geehrte Frau Kreistagsabgeordnete, sehr geehrter Herr Kreistagsabgeordneter,

mit Bestürzung haben wir den Plan des Landrates zur Kenntnis genommen, die Verwaltung des Landkreises Potsdam-Mittelmark entsprechend dem Ihnen bekannten Szenario 2 (Ein-Standort-Strategie) in Beelitz-Heilstätten zu konzentrieren. Die bereits über Jahre ablaufende und nun kaum noch stärker zu betreibende Aushöhlung des Kreissitzes in Bad Belzig kann nach unserer Meinung über kurz oder lang nur zum Ende des Kreisstadtstatus führen und das Ende eines bisher erhaltenen Mittelzentrums Bad Belzig mit allen daraus resultierenden Konsequenzen bedeuten.

Erstaunt sind wir sowohl über die Eile, mit der eine Beschlussvorlage mit solch umfassenden Auswirkungen auch im Hinblick auf die nicht allzu ferne Neuwahl des Kreistages eingebracht wurde, als auch über den krassen inhaltlichen Widerspruch zur rechtsgültigen Politik des Landes, die strukturschwachen und dünn besiedelten Gebiete fern der Hauptstadtregion eben gerade mit der Ansiedlung von Kreissitzen (und den damit verbundenen Verwaltungsarbeitsplätzen) zu unterstützen und zu fördern.

Mit Entsetzen stellen wir fest, dass unserer Einschätzung nach vorprogrammierte wirtschaftliche und damit leider auch soziale Verschlechterungen, die sich für die Bewohner der gesamten Region von Bad Belzig, Brück, Niemegk, Treuenbrietzen, Wiesenburg und ihre Umlandgemeinden ergeben werden, ohne Not in Kauf genommen werden. Wo größere Firmen und damit Arbeitgeber und Kaufkraft jetzt schon fehlen, kann der Wegfall von hunderten (Verwaltungs-)Arbeitsplätzen nicht durch örtlichen Handel, kleinteiliges Gewerbe, touristische Dienstleistung oder auch von (noch) bestehenden Gesundheitseinrichtungen aufgefangen oder nicht einmal nur abgemildert werden.

Das aktuelle Sozialraumprofil Ihres Hauses zeichnet da für Bad Belzig ein klares Bild:

  • eine deutlich über dem Landkreisdurchschnitt alternde Bevölkerung
  • wesentlich weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit entsprechend erhöhten Arbeitslosenquoten und Bedarfsgemeinschaften
  • Jedes 5. Kind Bad Belzigs lebt in sozialgeldbeziehenden Bedarfsgemeinschaften mit leider allen sich statistisch ergebenden Folgen (wie z.B. einer fünffach höheren Übernahmequote des Kitabeitrags durch die Kommune) – im Landkreisdurchschnitt ist es „nur“ jedes 14. Kind (2016).
  • Die Steuereinnahmekraft pro Einwohner beträgt seit Jahren nur ca. 60 – 70% der in Potsdam-Mittelmark im Schnitt erzielten Beträge.

Daher möchten wir Sie dringend bitten, sich neben den eventuell kurzfristig zu erzielenden Einsparungen, welche sich ggf. schon im Hinblick auf die Folgekosten und die Zeiträume relativieren, vor allem die Tragweite einer solchen Entscheidung eingehend vor Augen zu führen!

Im wohlverstandenen Interesse der Bewohner unserer Heimatregion: Stoppen Sie dieses Vorhaben! Potsdam-Mittelmark hat seit 1816 in Bad Belzig eine funktionierende Kreisstadt zum Vorteil aller Bewohner und des Kreises selbst! Ein Kreissitz lebt nur mit und von seiner Verwaltung und gegen eine Entwicklung desselben vor Ort spricht gar nichts!

Mit freundlichen Grüßen

die Bad Belziger Gewerbevereinsmitglieder

Nun bleibt abzuwarten, wie sich die Kreistagsabgeordneten entscheiden und bei allen die Hoffnung, dass sich diese ihre Entscheidung wohl überlegen. Denn sonst könnten in der Region wirklich die Lichter ausgehen, allerdings nicht wegen der von den Bürgermeistern geforderten Senkung der Kreisumlage.

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