Reetzerhütten: Alte Hölle – Neue Leute

Reetzerhütten. „In den letzten Tagen haben die jungen Leute mit ihren neuen Ideen die Hölle auf den Kopf gestellt“, sagt Grazyna Schmitz-Bienek lächelnd und fühlt sich damit in ihrer Entscheidung bestätigt. Sie hat das Waldhotel „Alte Hölle“ an den Verein Das ist Kunst e.V. und seine Mitstreiter verkauft.

Alte Hölle, Grazyna Schmitz-Bienek
Grazyna Schmitz-Bienek mit ihrem Mann

Die Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen, hat sie doch immerhin 31 Jahre dort gelebt und gearbeitet. Aber die Umstände machten es notwendig. Wie überall fehlte ihr ein Nachfolger. Die Hoffnung auf Stiefsohn Alexander zerschlug sich jäh mit dessen plötzlichem Tod. Alle anderen aus der Familie haben gute, sichere Jobs, kein Interesse oder sprechen kein Deutsch, denn Grazyna Schmitz-Bienek stammt aus Polen. „Wenn man hier arbeiten und leben will, muss man die Sprache beherrschen“, sagt sie. So entschloss sie sich schweren Herzens für einen Verkauf der „Hölle“.

Die „Hölle“, wie Grazyna Schmitz-Bienek ihr Zuhause immer scherzhaft nannte, war für sie jedoch immer das Paradies. Allerdings ist der Name wohl auf einen Schreibfehler zurückzuführen.

Altehelle – Eine spannende Geschichte

Ursprünge

Reetzerhütten, Oberförsterei Alte Hölle 1927
Oberförsterei Alte Hölle 1927

Die frühere Schreibweise „Altehölle“ war ein bedenklicher Name, bedeutete Hölle doch den Ort ewiger Verdammnis. Deshalb wollte man das im 19. Jahrhundert entstandene Vorwerk in „Buchenhain“ umbenennen. Die dennoch erhaltene Schreibweise ist aber augenscheinlich auf einen Schreibfehler zurückzuführen, denn ursprünglich lautete die Bezeichnung „Helle“, also eine Lichtung im Wald. Sehr alt ist die Bezeichnung noch nicht, in einer Aufzählung der zu Reetz gehörenden Ortschaften und Wirte aus dem Jahre 1716 taucht er noch nicht auf. Es wurden aber einige Wirte als „in der Heide wohnend“ aufgeführt, womit Altehelle gemeint war. 1727 stand erstmalig im Kirchenbuch die Bezeichnung „Alte Höle“, ein anderer gleichbedeutender Name war „Ziegelscheune bei Mahlsdorff“, die sich früher dort befunden haben soll. Aber dort war schon immer das Zentrum der Forstwirtschaft mit einem Forsthaus.

2. Weltkrieg

Auch der Zweite Weltkrieg ging nicht am Fläming vorüber. 1945 standen hier die Truppen der 12. Armee des Befehlshabers General Walter Wenck, der in der einstigen Revierförsterei sein Hautquartier aufgeschlagen hatte.  Am 23. April um 1:00 Uhr traf Generalfeldmarschall Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, auf dem Gefechtsstand der 12. Armee ein, um persönlich den Befehl Hitlers an General Wenck zu übermitteln, sofort nach Osten anzugreifen, sich mit der Südostwerts von Berlin durch die Russen eingeschlossenen 9. Armee zu verbinden und mit dieser zusammen Berlin zu entsetzen und damit auch Hitler zu befreien. General Wenck führte diesen Befehl nicht durch, da sowohl die Gesamtlage als auch die mangelnden Kräfte der 12. Armee die Ausführung dieses unrealistischen Befehls nicht zuließen. Das Armeeoberkommando entschied sich, “nur noch nach der Richtschnur des eigenen Gewissens zu führen”, sich nur noch Ziele im Rahmen des “Machbaren” zu setzen, wobei eine schonende und rücksichtsvolle Truppenführung im Vordergrund aller Überlegungen stand, um so viel Leben wie möglich zu retten und sie alle nach Westen über die Elbe in Sicherheit zu bringen. Diese hier am 23.4.1945 in der “Alten Hölle” gefassten Entschlüsse konnten weitestgehend in die Tat umgesetzt werden.

DDR-Zeit

Reetzerhütten, Alte Hölle, Bettenhaus
Das Bettenhaus

Aus dem Forsthaus entstand in den siebziger Jahren ein Ferienheim. Doch dieses Heim war nicht von Dauer. In der Umgebung fehlte das Wasser und das gefiel den Kindern nicht so recht. Da übernahm ein gut betuchtes Ministerium (IWT Berlin) das Objekt. Nun wurde ein Bettenhaus errichtet, die Scheune wurde zu einem Saal ausgebaut und das Forsthaus für die Gastronomie hergerichtet. Zu DDR-Zeiten erholten sich hier in der schönen Natur Parteifunktionäre und Stasi-Aktivisten von ihrer Arbeit. Der Bevölkerung war der Zutritt verwehrt. Nur am Bau des Bettenhauses waren Einheimische beteiligt und verdienten sich gutes Geld dazu, denn das Ministerium zahlte nicht schlecht. So drangen immer wieder einzelne Gerüchte über die Ausstattung der Zimmer und Bäder an die Außenwelt.

Nach 1989

Als im Dezember 1989 die Stasi aufgelöst wurde, stellte die Gemeinde einen Antrag auf Rücküberführung des Objektes. Den Zuschlag erhielt allerdings der Landkreis Potsdam-Mittelmark. Das Objekt wurde dann direkt vom Landkreis als Ausflugslokal und Hotel genutzt. In diesem Zuge wurde auch die Zufahrtsstraße asphaltiert. Seit November 1990 ist Grazyna Schmitz-Bienek Inhaberin des Waldhotels.

Beginn

Es ist also ein geschichtsträchtiges Anwesen, was der Verein hier erworben hat. Immerhin gab es sieben Bewerber. Die Entscheidung fiel Grazyna Schmitz-Bienek nicht leicht, lange hat sie sich mit der Familie beraten. Am Ende entschied sie sich für die jungen Leute und gegen eine Architektin aus Berlin, obwohl diese ihr mehr Geld geboten hatte.

Reetzerhütten, Alte Hölle, Das ist Kunst e.V.
Ein neueer Briefkasten ist schon da.

„Das sind junge Menschen, die können was bewegen“, sagt sie, denn auch in diesem Moment steht bei ihr der Erhalt des Anwesens im Vordergrund. Auch war ihr Vereinsmitglied Lukas Becker sehr sympathisch. „Du bist der Mann, der das beherrschen kann“, sagte sie zu ihm. Und alle anderen stehen voll hinter ihm. Es sind nämlich nicht nur Vereinsmitglieder, die sich um das Anwesen kümmern. „Wir sind eine Gemeinschaft von Interessierten“, erklärt Anna Sieger. Zu ihnen gehören jüngere und auch ältere, die bereits Projekterfahrungen haben. Dadurch gibt es in der Gruppe, die deutschlandweit zu Hause ist, viele Kompetenzen, so dass viele Bereiche abgedeckt werden können.

Die ersten Ideen sind bereits geboren. So soll ein Seminarhaus entstehen, wo Workshops in verschiedenen Feldern angeboten werden. Außerdem wird es Projekte für Kinder und Jugendliche geben. Dafür ist man gerade auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten, denn Werkstätten kann man auf dem Gelände nicht einrichten. Der Verein hat diesbezüglich schon Kontakt zur Gemeinde aufgenommen und das Gelände der Drahtzieherei besichtigt.

„Wir hatten erst ein bisschen Angst, dass wir nicht ankommen, aber es lief alles unkompliziert“, sagt Anna Sieger. Sie waren schon zum Stammtisch in Mal´s Scheune und zu Zusammenkünften im Coconat. Wie breit gefächert das Angebot sein wird, zeigt sich schon jetzt. „Der Chaos Computer Club“ hat sich bereits eingemietet“, erzählt Nina Stemberger. Es wird ein Makers Space mit einem 3-D-Drucker entstehen, ebenso Co-Working Arbeitsplätze. Aber man möchte auch Kulturelles anbieten in Form von Lesungen oder Konzerten.

„Das Gelände hat viel Potential“, sagt Nina Stemberger. Ihr schwebt ein kleiner Garten vor, wo man sich betätigen kann und der auch zur teilweisen Selbstversorgung beitragen soll. Dazu wurde bereits Kontakt zu einem Biosaat Produzenten und der solidarischen Landwirtschaft Lübnitz aufgenommen. Interessant für alle ist auch der nachhaltige Umgang mit dem Wald, liegt Alte Hölle doch mittendrin.

Für den Januar plant der Verein eine Art Tag der offenen Tür mit einem kleinen Willkommensfest. Es gibt Überlegungen, diesen als kleinen Flohmarkt zu gestakten. „Es gibt hier viele schöne Dinge, die es wert sind, erhalten zu werden, aber nicht so ganz zu unseren Vorstellungen passen“, so Nina Stemberger. Dann könnte sich jeder ein kleines Erinnerungsstück mitnehmen. Wer mehr über den Verein erfahren will, kann sich auf der Homepage umsehen: https://www.hausprojekt.org/hausprojekt/

Abschied

Reetzerhütten, Alte Hölle
Hinweisschild am Ortseingang Reetzerhütten

Und Grazyna Schmitz-Bienek? Wenn sie an den Abschied denkt, steigen ihr doch die Tränen in die Augen. Alte Hölle war ihr Lebenswerk. Oftmals hat sie sich gefragt, wie sie das alles geschafft hat. „Das ging nur mit sehr viel Disziplin und Engagement“, sagt sie zurückblickend. Ein Trost ist, dass sie nicht irgendwo neu anfangen muss, sondern in ihre Heimat Polen zurückkehrt. Sie hofft, Weihnachten bereits dort zu verbringen. Bis dahin ist aber noch viel Organisatorisches zu klären.

„Für Alte Hölle ist es gut so, dafür habe ich es so gemacht“, sagt Grazyna Schmitz-Bienek und denkt dabei auch an diejenigen, die sie damals bei der Übernahme sehr unterstützt haben, wie Barbara Klembt und Ilse Mansfeld. Besonders diesen beiden möchte sie noch einmal für ihre Unterstützung danken, aber auch natürlich allen anderen Helfer, Angestellten und Gästen, die der Alten Hölle über viele Jahre die Treue gehalten haben. „Man muss im richtigen Moment sagen, jetzt ist es Zeit“, sagt Grazyna Schmitz-Bienek mit Tränen in den Augen.

(Artikelfoto: v.l.n.r. Nina Stemberger, Grazyna Schmitz-Bienek, Anna Sieger)

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