Bad Belzig: Lesung über Neonazismus in der DDR

Bad Belzig. Mit dem kürzlich ergangenen Urteil im NSU Prozess rückte der Neonazismus in Deutschland wieder in den Mittelpunkt. Aber wie konnte es zu solchen Extremen kommen? Mit diesem Thema beschäftigt sich seit Jahren Dr. Harry Waibel. Er promovierte am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin mit einer historischen Studie zum Neonazismus und Antisemitismus in der DDR. Sein Interesse galt seit jeher der Arbeiterbewegung und dem Nazifaschismus. Grund für seine Forschungen war ein persönliches Erlebnis, welches er während seiner Studienzeit in Freiburg hatte. Als er samstags in die Innenstadt ging, sah er, wie ein langhaariger Typ einen Tisch aufbaute und dort neonazistisches Material auslegte. Es stellte sich heraus, dass dieser ein aus der DDR freigekaufter Neonazi war. Dieses persönliche Schockerlebnis bestärkte ihn, Nachforschungen auf diesem Gebiet aufzunehmen.  Aber die Aktenlage war vor der Wende dünn. So konzentrierte er sich auf die Archive der FDJ. Erste Ergebnisse veröffentlichter er 1995. Als nach der Wende die Stasiunterlagen zugänglich wurden, befasste er sich erneut mit dem Thema. Dann brachen in ihm alle Dämme. Er fand etwa 7000 Fälle neonazistischer Vorfälle, die in der ehemaligen DDR sozusagen totgeschwiegen oder als dumme Jungen Streiche abgewiegelt wurden. Denn auch bei der Polizei gab es keine eigene Rubrik für solche Taten.

Am vergangenen Dienstag stellte Harry Waibel einen Teil seiner Recherchen, die er in dem Buch „Die braune Saat“ zusammengefasst hat, einem interessierten Publikum im Infocafe „Der Winkel“ in Bad Belzig vor. Das Buch beinhaltet über 2000 unveröffentlichte Fälle der Stasi. Das es innerhalb der DDR weder ein politisches Statement noch eines aus der Bevölkerung zu dem Thema gab, lag an der Vertuschung der Vorfälle und daran, dass es keine Studien zu dem Thema gab. Befragungen unter Schülern ergaben, dass es unter ihnen erhebliche Wissenslücken über den Neonazismus gab. 15.000 Personen wurden in der DDR dem rechten Milieu zugeordnet, die Akten waren bis zur Wende unter Verschluss. Denn auch in den 70 er Jahren gab es schon Angriffe auf Wohnheime und Gastarbeiter, teilweise sogar Lynchjustiz. So wurden 1975 in Erfurt Gastarbeiter aus Algerien mit Knüppeln durch die Straßen gejagt. Ermittlungsverfahren gab es kaum oder diese wurden von der DDR Regierung gestoppt. Die Strafen waren eher moderat. Dem Politologen Jochen Staadt verdankt Harry Waibel den Hinweis auf Äußerungen von Erich Honecker, der, Anfang 1989 auf die Ausländerfeindlichkeit in der BRD angesprochen, geantwortet hatte:

„Der Fremdenhass liegt sehr stark in der deutschen Mentalität. Bei uns in der DDR ist das überwunden. Bei den Maidemonstrationen sieht man Menschen verschiedener Hautfarbe und Herkunft, die in Brüderlichkeit und Freundschaft zusammengehen.“

Die Ursachen des Neonazismus sehen Harry Waibel und auch die Anwesenden im anschließenden Gespräch in einer gescheiterten Entnazifizierung in beiden deutschen Ländern. Während jedoch in der BRD Aufstände und Demonstrationen eher öffentlich abliefen, wie z.B. die 68er, bleib in der DDR vieles im Verborgenen. Neonazis tarnten sich oft als Fans von Oberligafußballklubs. Auch war es für beide deutschen Staaten nicht einfach, einen neuen Staat aufzubauen, es fehlten schlicht und ergreifend die Leute. So ist bekannt, dass ehemalige Nazis in der BRD hohe Regierungsämter bekleideten. In der DDR wurde das unter den Tisch gekehrt. Ehemalige Nazis in der DDR wurden sozusagen verpflichtet, in die SED einzutreten und mit ihr zusammen zu arbeiten. Dann würde man über die Vergangenheit nicht mehr reden. Auch Stasichef Erich Mielke hielt ehemalige Nazis als geeignete Personen zum Anwerben für die Staatsicherheit. Die Anwesenden im Infocafe interessierte vor allem, wie damals zwischen aktiven Nazis  und Mitläufern unterschieden wurde. Und warum einige Nazis erst so späte entdeckt wurden. Harry Waibel wurde gebeten, an dem Thema weiter zu forschen um dann seine neuen Erkenntnisse öffentlich zu machen. „Der alten Nazis ist es gelungen, ihre Ideologie an die neue Generation weiter zu geben“, sagt Harry Waibel.

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