Bad Belzig, Fläming, mobil, Senioren

“Man(n) kann gar nicht genug PS haben!” – Frau auch nicht…

Bad Belzig. Mobil bleiben im Alter ist leichter gesagt, als getan. Vor allem wenn man – wie die Hergers aus Bad Belzig – sein Leben lang Rad gefahren ist und das nun plötzlich nicht mehr kann. Vor zwei Jahren schien es damit endgültig vorbei. Doch dann kam der Familie des mittlerweile 81-jährigen Dr. med. Manfred Herger eine zündende Idee. Mit dieser sollte sich die Mobilität – für das seit 58 Jahren verheiratete Paar – praktisch über Nacht wieder herstellen lassen.

„Aber in der Toskana war das Geld schon alle.“

Der über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Frauenarzt ist schon als 20-jähriger Student über die Alpen bis nach Florenz geradelt – seinerzeit freilich noch ohne Gangschaltung, geschweige denn mit Batterieverstärkung. Rom sei das eigentliche Ziel gewesen, erzählt er rückblickend:

„Aber in der Toskana war das Geld schon alle.“

Ein Jahr später schafft er`s dann tatsächlich bis in die italienische Hauptstadt. Ende der 50er Jahre genehmigt ihm die noch junge DDR einen zehntägigen Italien-Aufenthalt. Herger ist von vornherein klar, dass das für seine geplante fast 3.500 km lange Rundreise keinesfalls ausreichen kann. Weil auf den Papieren handschriftlich der 1. bis 10.6. vermerkt ist, beschliesst Herger, aus der 6 eine 8 zu „zaubern“. Die perfekte Fälschung führt zu keinerlei Misstrauen bei den DDR-Grenzern, dafür aber zu einem perfekten Italien-Urlaub. Nachzulesen in einem seiner 40 Tagebücher, die zum Teil in italienischer Sprache geschrieben sind .

„Dass es mit dem Radfahren vorbei sein sollte, hat mich wahnsinnig gewurmt!“

Dem Velo bleibt der Bad Belziger sein Leben lang treu. Seine spätere Frau muss er zu dieser Leidenschaft nicht überreden. Um so schmerzlicher ist es, als sich die heute 85-Jährige wegen häufiger werdender Schwindelanfälle nicht mehr aufs Rad traut. Manfred Herger:

„Dass es mit dem Radfahren vorbei sein sollte, hat mich wahnsinnig gewurmt!“

Unter den drei Kindern und sieben Enkeln wird als Preis eine Goldmünze für denjenigen ausgelobt, der eine geeignete Lösung für das Problem der Veteranen präsentiert. Bereits am Abend desselben Tages überrascht eine der Töchter mit dem Vorschlag eines ganz besonderen Tandems aus den Niederlanden. Die filmische Präsentation im Internet überzeugt Manfred Herger derart, dass er am Tag darauf seine Frau ins Auto einlädt, um gemeinsam die Berliner Vertretung des Händlers aufzusuchen. Wohin es genau geht, verrät Herger nicht. Dass das favorisierte Vorführmodell seit Tagen für einen anderen Käufer reserviert ist, spornt den Belziger nur noch mehr an. Eine spontane Anzahlung von 5000.-Euro überzeugt den Händler schliesslich, das Geschäft dann eben mit dem neuen Kunden aus dem Fläming perfekt zu machen. Immerhin ist auch Hildegard Herger nach anfänglichen Bedenken und einer Probefahrt von der Kippsicherheit überzeugt.

Doch das nicht eben billige Dreirad für einen sehr hohen vierstelligen Betrag besticht noch durch weitere technische Raffinessen. Nicht nur, dass sich der Beifahrersattel zum bequemeren Aufstieg um 90 Grad verschwenken lässt. Es hat zudem einen Rückwärtsgang und verfügt mit zwei Akkus über eine Reichweite von fast 100 Kilometern. Schließlich sorgt der Dämmerungsschalter automatisch dafür, dass die Beleuchtung niemals vergessen werden kann.

Als hilfreich – nicht nur am Berg – erweist sich längst auch die Anfahrhilfe, ohne dass man selbst treten muss. Ganz zu schweigen vom separaten Kettenantrieb für die Beifahrerin. Dieser ermöglicht ihr durchaus ein langsameres Treten in die Pedale durch einen anderen Gang oder sogar ein Pausieren während der Andere allein für den Vortrieb sorgt. Manfred Herger:

„Witzig ist auch eine eigene App für dieses Rad. Haben wir uns beim Pilzesuchen verirrt, wird uns der genau Standort des Dreirades im Wald angezeigt. Sollte es trotz Schloss mit höchster Sicherheitsstufe geklaut werden, wissen wir wenigstens, wo genau sich die Diebe mit unserem Gefährt befinden.“

„So ein geiles Ding will ich auch haben!“

Seit dem Kauf des Dreirades, müsse nicht nur das Auto draußen im Garten parken. Praktisch habe es seitdem keine einzige Einkaufsfahrt mehr ohne das neue Rad gegeben. Dabei konnten sich die Hergers der sichtlichen Begeisterung der Passanten ebenso sicher sein, wie der heiter bis neugierigen Blicke und der permanenten Nachfragen, wo es denn so etwas gebe und was es technisch zu leisten imstande ist. Neulich seien sie von einem hochbetagten Rentner gestoppt und ausgefragt worden, der schließlich mit der Äußerung verblüffte:

„So ein geiles Ding will ich auch haben!“

Dr. Manfred Herger:

„Offenbar gibt es in unserer Generation einen riesigen Markt dafür und jede Menge Rentner, die irgendwann dasselbe Problem eingeschränkter Mobilität haben und nur zu gern dem Rad treu bleiben würden.“

Dass es eine ausgesprochen teure Investition sei, stehe freilich außer Frage. Dem entgegen stehe aber der Aspekt, „was einem der Erhalt der eigenen Mobilität eigentlich Wert ist“.

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So oder so: die beiden Belziger lassen sich, wie in alten Zeiten, von keinem Anstieg schocken. Manfred Herger:

“Man kann gar nicht genug PS haben!”

Ob hoch zur Borner Windmühle, zur Steintherme in die Sauna oder auf dem R 1 nach Raben. Dass entgegen kommende Autos hupen oder Fahrer ihnen zuwinken – daran haben sich die Radenthusiasten mittlerweile gewöhnt. „Wir haben zu unserer alten Lebensqualität zurück gefunden. Das ist das Beste, was uns passieren konnte. Die letzte Urne hat kein Schließfach.“, meint der 85-Jährige sichtlich stolz auf das zum „velo rosso“ getaufte Dreirad.

„Der R1 ist zwischen Berkholz und Bad Belzig unzumutbar.“

So begeistert, wie die Hergers von ihrem neuen fahrbaren Untersatz erzählen, so enttäuscht sind sie gleichzeitig von der Vernachlässigung einiger Radwege. Das betreffe ausgerechnet den internationalen Fernradweg „R 1“. Zwischen Berkholz und Bad Belzig sei der Asphalt durch Wurzeln derart massiv beeinträchtigt, dass die meisten Radfahrer notgedrungen auf die für sie gefährliche Landstraße ausweichen müssen: „Das ist unzumutbar und wird dem Anspruch eines internationalen Radweges, der zwischen Boulogne-sur-Mer (Frankreich) und St. Petersburg (Rußland) zum Glück auch durch den Fläming führt – nicht mal im Ansatz gerecht. Hier gibt es akuten Handlungsbedarf!“, so Herger abschließend.

Redaktion und Fotos: Rainer Marschel

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