Siegfried Frenzel, Fläming Bibliothek, Rädigke, Rädigke, Theologischer Salon

Rädigke: Märchenhafter Salon in der Fläming Bibliothek

Rädigke. Dreißig, zu meist ältere Erwachsene strömten Freitag Abend in die Fläming Bibliothek, um sich mit den Märchen der Gebrüder Grimm zu befassen. Eingeladen hatte Pfarrer Matthias Stephan zu dem traditionellen Theologischen Salon. Als Referenten hatte er den Bürgermeister für die Gemeinde Rabenstein/Fläming, den Klinikseelsorger und Theologen Siegfried Frenzel gewonnen.

Wie Siegfried Frenzel zu den Märchen kam

“Es war einmal…”, so beginnen oft die Märchen der Gebrüder Grimm. Frenzel fassizinieren sie spätestens seit einer Vorlesung 1986/87 während seines Studiums. Natürlich aber kennt er sie seit seiner Kindheit. Seine damalige Hortnerin hatte immer wieder Märchen der Gebrüder Grimm vorgelesen. Seit damals ist der Eisenhans sein Lieblingsmärchen:

“Es ist mit den ganzen Rittern ein tolles Jungsmärchen.”

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Siegfried Frenzel

Deshalb hatte er es auch bei der von ihm jahrelang organisierten Papa-Kind-Freizeit auf der Burg Rabenstein gern vorgetragen. Natürlich kennt ihr die psychoanalytischen Analysen eines Eugen Drewermann. Sein Zugang aber ist ein anderer, wie er in der Fläming Bibliothek ebenso unterhaltsam wie einprägsam vorträgt.

Die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm – einmal anders betrachtet

Zu Beginn des Theologischen Salons liest er pointiert das Märchen “Die Stadt der Brunnen” aus “Geschichten zum Nachdenken” des Argentiniers Jorge Bucay vor. Das Märchen zeigt anschaulich:

“Auf der Oberfläche sind Märchen oft Blödsinn. In der Tiefe aber vermittlen sie etwas Besonderes.”

Der Brunnen dient ihm als Aufhänger zur Überleitung. Natürlich fallen seinen Zuhörern viele Märchen der Gebrüder Grimm und andere Geschichten ein, in denen der Brunnen (Quelle, Born, noch heute versteckt im Wort “geboren”) eine herausragende Rolle spielt: Froschkönig, Frau Holle, Hans im Glück, Jesus und die Samariterin.

Die sieben Geißlein und der Wolf ist das einzige der Grimmschen Märchen, bei dem der Brunnen nicht das Leben, sondern den Tod bringt.

Vor allem kommt es Frenzel darauf an, die Grimmschen Märchen aus ihrer Zeit heraus zu lesen:

“Als Kinder haben sie die Märchen genauso gelesen wie Kinder heute. Aber für die Erwachsenen offenbarten sie noch viel mehr. Deshalb versuche ich die Märchen auf Grundlage der Lebensverhältnisse um 1800 zu interpretieren.”

Wiepersdorf, Rotkäppchenpark
Hinweisschild auf den Rottkäppchenpark in Wiepersdorf. Der 800 Meter lange Rottkäppchen-Wanderweg vermittelt Szenen aus dem Märchen. (Aus dem Ländchen und aus dem Schloss Wiepersdorf, wo das berühmte Dichterpaar Bettina und Achim von Arnim lebten, sollen ebenfalls viele Märchen der Gebrüder Grimm stammen.

Die Lebensbedingungen haben sich verändert, und somit ist es uns kaum möglich, die Märchen der Gebrüder Grimm wie in ihrer Zeit zu lesen. Die Erstausgabe stammt aus dem Jahr 1812, und wenn man verstehen will, was Erwachsene aus den Anspielungen in den Märchen herausgelesen haben könnten, muss man sich in die damalige Zeit zurückversetzen. Einiges an den “Sieben Geißlein und der Wolf” wird verständlicher, wenn man sie ein wenig anders liest. Schon immer wunderte sich Frenzel zum Beispiel, wie die Geißlein die Pfote eines Wolfes mit der Klaue ihrer Mutter verwechseln konnten. Aber wenn der Wolf für den Tod oder den Teufel mit seinem Hinkefuß steht, wird die Verwechslung auf einmal verständlich.

Auch erhalten die Märchen, wenn man sie zu lesen versteht, etwas Alegorisches. Der Wolf, der Tod oder Teufel, muss jämmerlich ersaufen, im Brunnen, im Born, dort, wo das Leben geboren wird. So gelesen werden die Kindermärchen zu Hausmärchen für Erwachsene, was sie zunächst wohl auch waren.

Laut Frenzel sind die Märchen für Kinder unverzichtbar:

“So bekommen sie Bilder in den Kopf, an denen sie sich in ihrem späteren Leben orientieren können. In ungewohnten Lebenssituationen, bei denen es keine festen Wegmarken gibt, geben ihnen Mythen, Märchen und Sagen die Worte, an die sie sich halten können.”

Beispiel “Frau Holle”

Wie anders die damaligen Erwachsenen einzelne Märchen verstanden haben werden, macht Frenzel besonders anschaulich an “Frau Holle”. Bekanntlich spielt in dem Märchen eine Spindel eine herausragende Rolle. Die Mädchen und jungen Frauen spannen damals gemeinsam, und offenbar gesellten sich auch die jungen Männer gern dazu. Klar, dass in den “Spinnnichten” nicht nur gesponnen, sondern auch “Zoten gesprochen, unzüchtige Lieder gesungen wurden und so manches Paar auch unzüchtig nach dem Auseinandergehen war”. Dass das der gängigen Moralvorstellung widersprach, verdeutlicht Frenzel an einem Buch seines Vaters, einem Gesetzblatt von 1825 aus Coswig. Nach diesem Gesetz wurden die “Spinnnichten” verboten.

Das alles im Kopf, kann der Stich an der Spindel auch anders gelesen werden. Das Erwachen auf der Wiese, nachdem das Mädchen in den Brunnen, den Quell des Lebens, gesprungen war, kann man als Symbol für neues Leben interpretieren. Wenn man dann weiß, dass man damals im Winter Neugeborene in den noch warmen Backofen zu legen pflegte, um sie ausreichend wärmen zu können, lässt sich auch die Backofenszene anders interpretieren. Aus der Zeit stammt übrigens auch der Ausdruck “einen Braten in der Röhre haben”.

Anschließend muss die spätere Goldmarie einen Apfelbaum schütteln. Frenzel erinnert daran, dass der Apfel oft als Symbol für die weibliche Brust dient und legt die Interpretation dieser Szene als Säugen des Kindes nahe. Dann erschrickt das Mädchen vor den großen Zähnen von Frau Holle. Vor der Fratze des Lebens? Aber sie steht zu ihrem Kind und darf zurück ins Leben. So gelesen wendet “Frau Holle” die unehelichen, damals stigmatisierten Kinder ins Positive.

Fazit

Man muss den Interpretationen von Frenzel natürlich nicht folgen. Anregend und unterhaltsam sind sie auf jeden Fall, was auch die lebhafte Diskussion durch die Teilnehmer beweist. Eine der Fragen war zum Beispiel, wann die Grimmschen Märchen eigentlich entstanden sind. Zumindest einige müssen erst in der Zeit von Jacob und Wilhelm Grimm entstanden sein, denn vorher gab es eine Standuhr wie in “Die sieben Geißlein und der Wolf” noch nicht.

Ganz nebenbei zeigt sich an diesem Freitagabend, dass viele viele der Teilnehmer bibelfester als märchenfest sind. So mancher der Erwachsenen nimmt sich daher vor, wieder einmal die Märchen der Kinderzeit zu lesen.

Den Theologischen Salon in der Fläming Bibliothek in Rädigke gibt es wieder am 28. Februar und am 13. März, immer um 19:30 Uhr.

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Fläming Bibliothek

 

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