Bad Belzig. Es war das vierte der BahnhofsGespräche, die die SPD Bad Belzig seit einiger Zeit organisiert. Am 19. November stand Thema „Steuerpolitik in Deutschland“ auf der Tagesordnung. Das Thema klingt abstrakt und erzeugt nicht unbedingt wohlige Gefühle, doch etwa 50 Bad Belziger kamen. Dass so viele kamen hatte ganz sicher neben dem Thema auch mit dem Gesprächspartner von Initiator und Moderator Gustav Horn zu tun. Es ist der ehemalige Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (2010 bis 2017), Norbert Walter-Borjans, der gegenwärtig gemeinsam mit Saskia Esken für den SPD-Vorsitz kandidiert. Das erste Mal wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als er seinen Steuerfahndern erlaubte, für 19 Millionen Euro insgesamt elf Datenträger über Steuerflüchtlinge zu kaufen. Durch die folgenden Selbstanzeigen und Strafverfolgungen flossen später 7,2 Milliarden Euro in die Staatskassen.
Jetzt wurde Walter-Borjans gemeinsam mit Saskia Espen zum neuen Vorsitzenden der SPD gekürt.
Norbert Walter-Borjans und Gustav Horn – Zwei Volkswirte im Gespräch
Walter-Borjans und Horn kennen sich bereits aus gemeinsamen Studientagen an der Universität Bonn und begegneten sich auch später immer wieder einmal. Beide haben Volkswirtschaft studiert. Das merkt man dem weiteren Gespräch auch an. Es ist zu spüren, dass da zwei sind, die sich verstehen, weil sie in derselben Partei sind, und die wissen, worüber sie reden. Horn gab die Stichpunkte:
(Die nachfolgenden Notizen sind Mitschriften, die nicht noch einmal authorisiert wurden und somit Mißverständnisse enthalten können.)
Norbert Walter-Borjans: Politikansätze
Was treibt dich in die Politik?
Ich habe den Strukturwandel im Ruhgebiet mit erlebt und erfahren, was der Verlust des Arbeitsplatzes für das Selbstwertgefühl bedeutet. Die Situation war ganz ähnlich der in der DDR nach 1989. Bei Johannes Rau habe ich gelernt, dass es nicht allein um wirtschaftliche Reformen gehen kann, sondern dass die Menschen mitgenommen werden wollen und müssen. Letztlich geht es immer um eine gerechte Politik. Wer trägt die Lasten?
Kannst du konkrete Dinge nennen, die du gemacht hast?
Ich habe schon über die Umwelt geredet, als 1983 erstmals die Grünen in den Bundestag kamen. Ich habe den Verkehrsclub Deutschland mitgegründet, der sich seit 1986 für eine Verkehrswende einsetzt.
Im Ruhrgebiet haben wir den Strukturwandel mit den Menschen gestaltet. Das dauerte länger als in den vergleichbaren Kohlrevieren in England, Frankreich und Belgien. Aber wenn man die Gebiete heute vergleicht, so liegen diese hinter dem Ruhrgebiet.
In der Lausitz haben 30 Prozent AfD gewählt. Was sagst du denen?
Die AfD ködert mit Themen, die die Menschen tatsächlich bedrücken: die Perspektiven auf dem Land, die Arbeitslosigkeit in der Kohle, Funklöcher. Aber man kann die eigene Würde nicht sicher, in dem man sie anderen nimmt, zum Beispiel den Flüchtlingen. Man verliert sie dann selbst.
Wie stellt man sich den Problemen besser?
Kohle weiter fördern kann nicht die Antwort sein. Der Klimawandel ist real. In NRW haben wir damals die Filtertechnologien weiter entwickelt – und wurden damit Weltmeister. Auch heute muss man auf die Entwicklung neuer Technologien setzen. Außerdem brauchen wir öffentliche Investitionen, die Perspektiven eröffnen. Zu tun haben wir genug.
Aber damit wird man nicht allen helfen können?
Es wird Leute geben, die den Wandel nicht mitmachen können. Doch sie haben ihr Leben lang hart gearbeitet. Sie haben für sich selbst hart gearbeitet, aber auch für uns alle. Deshalb haben wir auch die Pflicht, ihnen zu helfen.
Kommen wir zum CD-Kauf mit den Daten der Steuersündern.
Ich war damals Finanzminister in NRW. Immer wieder musste ich wichtige, berechtigte Wünsche des Schulministers nach Investitionen in unsere Schulen, des Verkehrsminister nach besseren Straßen, des Innenminister nach mehr Polizisten abschlagen. Es war kein Geld in den öffentlichen Kassen. In dieser Lage kamen Steuerfahnder aus Wuppertal zu mir mit der Möglichkeit, Daten über diejenigen zu kaufen, die ihre Steuerschuld schuldig geblieben waren. Wir bekamen die Chance, Licht ins Dunkel zu bringen. Ich gab den Steuerfahndern die nötige Rückendeckung.
Das blieb nicht ohne Widerstand?
Die Täter verstehen ist, ihre Interessen so zu formulieren, dass auch die Mitte der Gesellschaft meint, mit betroffen zu sein. Aus Steuerflucht wurde der Verrat von Betriebsgeheimnissen. In Wirklichkeit geht es aber nur um die Interessen einer kleinen Gruppe.
Ähnlich ist es jetzt mit dem Solidaritätszuschlag, den zehn Prozent der Gesellschaft weiter zahlen sollen?
Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz noch bei 56 Prozent. Heute sind es nur noch 42 Prozent. Die Vermögenssteuer wurde abgeschafft. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht nur eine Überarbeitung gefordert. Die Beibehaltung des Soli für die oberen zehn Prozent ist da nur eine kleine Korrektur der Umverteilung von unten nach oben. Wir könnten sogar die zehn Prozent noch befreien – wenn es eine umfassende Steuerreform gibt die wieder mehr Gerechtigkeit schafft.
An all dem, was schief gelaufen ist, war aber auch die SPD beteiligt?
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass wir uns damals auf falsche Vorschläge eingelassen haben.
Müssen die Steuern für die Unternehmen nicht gesenkt werden, damit sie nicht abwandern?
Natürlich wollen Unternehmen Steuern sparen, wenn sie das können. Aber nach meiner Beobachtung ist ihnen anderes viel wichtiger, nämlich die Verfügbarkeit von Fachkräften, die Nähe zu ihrem Markt, eine gute Infrastruktur, wenig Bürokratie. Sie brauchen Gemeinden, die ihre Aufgaben auch erfüllen können.
Im Grundgesetz steht eine Schuldenbremse. Hilft das oder kann das weg?
Auch hier müssen wir uns eingestehen, dass die SPD mitgemacht hat. Es gab damals einen großen öffentlichen Druck nach dem Motto, der Staat könne nicht mit Geld umgehen und Schulden sind furchtbar. Dabei nehmen auch Private zum Beispiel für Wohnraum und Unternehmen für Investitionen Schulden auf. Auch der Staat muss, wenn er investieren will, Schulden aufnehmen können. Wenn wir jetzt keine Schulden aufnehmen, verschieben wir statt der Schulden eine schlechte Infrastruktur in die Zukunft. Und da liegt unser Bedarf inzwischen bei 450 bis 500 Milliarden Euro. Das ist nicht aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.
Wie bekommen wir die Schuldenbremse wieder aus dem Grundgesetz?
Das wird schwer, denn wir benötigen eine Zweidrittelmehrheit. So lange das nicht geht, müssen wir uns mit sogenannten Nebenhaushalten behelfen, in denen viele Haushaltsprinzipien keine oder nur eingeschränkt angewendet werden.
Neben der Steuerpolitik geht es auf der SPD-Veranstaltung natürlich auch um die SPD. Das bewegt die anwesenden SPD-Mitglieder mindestens genauso wie die aktuelle Finanzpolitik. Wiederstellt Horn die Fragen:
Norbert Walter-Borjans: Wie weiter mit der SPD?
Die einst stolze SPD liegt heute bei Umfragen bei etwa 15 Prozent. Wie konnte das passieren?
Wenn man fragt, welcher Partei man von den Grundwerten her nahe steht, nennen immer noch etwa ein Drittel die SPD. Doch wir haben viele enttäuscht, weil wir dem neoliberalen Trend nachgegeben haben. Wir haben die Gerechtigkeit und die Wahrung des Zusammenhalts aus dem Fokus verloren. Wir müssen wieder die Partei für diejenigen werden, die Solidarität brauchen, und für diejenigen, die sie zu geben bereit sind.
Schwamm drüber die letzten Jahre?
Schwamm drüber muss derjenige sagen, der enttäuscht wurde, nicht derjenige, der enttäuscht hat.
Wie kann das gelingen?
Wir müssen wieder Brücken innerhalb unserer Partei bauen, aber auch zu den Gruppen, die uns einmal nahe standen, also Gewerkschaften, Sozialverbänden, Wissenschaft und Forschung, Kirchen. Dabei hilft uns kein Selbstlob. Wir bauchen Dialog und Meinungsaustausch. Wir müssen Themen übernehmen und in den Parlamenten durchsetzen.
Versuchen das nicht auch die GRÜNEN und DIE LINKE?
Die GRÜNEN sprechen das Überleben der Menschheit an. Aber es fehlt ihnen der Blick darauf, wen der nötige Verzicht trifft. DIE LINKE dagegen kümmert sich um die kleinen Leute, aber sie berücksichtigt zu wenig, dass das alles nur mit einer leistungsstarken, engagierten Wirtschaft geht. Wir als SPD könnten die Kraft sein, die das bündelt.
Zuletzt die Frage nach deiner eigenen Kandidatur als SPD-Vorsitzender?
(Das Gespräch fand vor dem Mitgliederentscheid der SPD statt)
Ein leichter Job würde es ganz sicher nicht, die SPD wieder aus ihrem tiefen, tiefen Tal herauszubringen. Dazu bedarf es der Mitglieder, aber auch der Hilfe von Nichtmitgliedern. Zur Erneuerung der SPD braucht es neue inhaltliche Zugänge. Für die Glaubwürdigkeit der Erneuerung braucht es meiner Meinung nach auch neue Köpfe. Sonst glaubt das kein Mensch.
Einen weiteren Bericht über diese Veranstaltung gibt es … … auf der Seite der SPD Bad Belzig.
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