Medewitzerhütten. Lange Zeit hieß es bei Suchterkrankungen meist nur Alkoholismus. Das hat sich im Laufe der vergangenen Jahre drastisch geändert, denn immer mehr stimulierende Substanzen kamen auf den Markt.

Auch das Einstiegsalter sank erheblich. Mitunter machen noch nicht einmal zehnjährige erste Erfahrungen mit Drogen. Irgendwann können viele Menschen nicht mehr ohne diese auskommen – sie werden süchtig. Der Weg aus dieser Misere ist meist allein nicht zu schaffen. Deshalb gibt es die verschiedensten Einrichtungen der Suchthilfe. Eine davon ist im ehemaligen Jagdschlösschen in Medewitzerhütten untergebracht.
Das Jagdschloss wurde 1914 von Carl Eduard Brandt von Lindau in seinem Forstrevier nahe Medewitzerhütten gebaut. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland im Zuge der Bodenreform enteignet. Später wurde es Ferienheim des VEB Chemiewerk Coswig. 1992 bezog die WABE gGmbH das Gebäude und Gelände, die eine sozialtherapeutische Einrichtung für Suchterkrankte etablierte.
Viele Menschen fanden dort seitdem Hilfe. Und so gibt es jedes Jahr ein Ehemaligentreffen. Dieses fand kürzlich statt und ist sowohl für die jetzigen Bewohner als auch für die Ehemaligen ein Erlebnis, denn die Bewohner können von den Erfahrungen der anderen profitieren. Es werden nicht nur die Suchterkrankungen selbst behandelt, sondern auch die psychischen Folgen, die größtenteils damit einhergehen. Demzufolge ist es keine Klinik im eigentlichen Sinne, sondern eine Soziotherapie. Alles wird deshalb nicht von der Rentenversicherung bezahlt, sondern vom Sozialamt. Derzeit leben 26 Bewohner im Alter von zwanzig bis siebzig Jahren in Medewitzerhütten. Während die jüngeren ein bis zwei Jahre bleiben, leben die älteren meist hier, bis sie irgendwann in eine Pflegeeinrichtung gehen.
Leiterin der Einrichtung ist Laura Model. Sie ist seit zehn Jahren in der Suchthilfe tätig und kann sich nichts anderes vorstellen. „Ich liebe diese Arbeit“, sagt sie:
„Sie ist zwar schwer, aber auch eine dankbare Aufgabe. Wer hier ankommt, der will etwas ändern, denn alle kommen freiwillig und das merkt man.“
Die Altersgruppen ergänzen sich perfekt. Die ersten beiden Wochen nach Ankunft sind die Bewohner nur auf dem Gelände, danach wird für Besuch geöffnet. Eine geregelte Tagesstruktur gehört ebenso zur Behandlung wie Gruppengespräche und Freizeit. Besonders letzteres ist für viele eine Herausforderung: Was mache ich, wenn ich Langeweile habe? In der Einrichtung bekommen sie Hilfe, stehen sie aber erst wieder auf eigenen Füßen, wird es schwer. Dann ist das Rückfallrisiko extrem hoch. „Nur etwa einer von hundert schafft es dauerhaft“, so Laura Model. Aber selbst das sieht sie als Erfolg.
Zu den jetzigen Bewohnern gehören André aus Freiberg und Vincent, der in Bad Belzig geboren ist. André ist seit 2023 in Medewitzerhütten. Alkohol und psychische Probleme haben ihn einen Großteil seines Lebens begleitet. Aber es war ein langer Prozess bis hierher. Da hatte André schon sämtliche Therapien durch. Immer wieder wurde er rückfällig, ein Burnout kam dazu. Den entscheidenden Anstoß gab ein Arztbesuch, bei dem der Arzt Klartext redete: Wenn Sie so weiter machen, leben sie nicht mehr lange. „Jetzt ist es soweit“, sagte sich André. Er sieht Medewitzerhütten nicht als Endstation, sondern als einen Neubeginn. Hier findet er die Möglichkeit, durchzuatmen und sich selbst neu zu entdecken. Schritt für Schritt will der Fachinformatiker zurück ins Real Life und hält sich auf dem Laufenden für eine Jobrückkehr. „Der Kopf muss in Wallung bleiben“, sagt André zuversichtlich. „Alles ist wie ein großes Uhrwerk, jedes Zahnrad sorgt dafür, dass es funktioniert“, ist Andrés Meinung.

Vincent hat durch seinen Drogenkonsum zusätzlich eine Schizophrenie entwickelt. Er hat eine Haftstrafe hinter sich, kam durch ein Gutachten in den Maßregelvollzug, wo er bereits vier Jahre Therapie hinter sich hat. „Ich will mich resozialisieren“, sagt er. Mehrere Heime hat er sich angesehen. Seit 2022 ist das Schlösschen sein Zuhause. Vincent hat noch vier Jahre Bewährung. Er wollte bewusst während der Therapie weitab vom Schuss sein. Jetzt ist er seit sechs Jahren clean – in geschützter Umgebung. Demnächst beginnt für ihn ein neuer Abschnitt, denn Vincent wird in das Wohnprojekt der WABE nach Wiesenburg ziehen. Das wird eine neue Herausforderung, denn es gibt mehr Kontakt zur Außenwelt.
Über solche Erfolgsgeschichten freut sich auch Laura Model. Der Leitsatz der Einrichtung ist: Hilfe zur Selbsthilfe. Und es dürfen sogar kleine Haustiere mitgebracht werden. Die Menschen sollen sich hier wohl fühlen, denn es gibt ja viele verschiedene Persönlichkeiten. Aber auch die WABE leidet unter Fachkräftemangel. „Wir suchen dringend Sozialarbeiter“, so Laura Model.

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