Die lustigen Weiber aus dem Fläming und aus Franken

Rädigke. Gestern am Tag der deutschen Einheit war – wie jeder Jahr – eine Premiere in der Deutschen Staatsoper Unter den Linden angesetzt: „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai nach der literarischen Vorlage von Shakespeare.

Dieses Stück hatte genau vor 170 Jahren seine Uraufführung im selben Haus unter dem Dirigat des Komponisten. Damals war diese romantische deutsche Oper, die zudem noch lustig war, ein Erfolg. Aber heute? Die Texte aus der Biedermeierzeit haben mit dem heutigen Zeitgeist zu kämpfen, sind etwas gewöhnungsbedürftig, wogegen die Musik noch immer mitreißt. Kein Wunder, dass die Opern von Lortzing („Zar und Zimmermann“), von Flotow („Martha“) oder eben Nicolai kaum noch aufgeführt werden.

Da hat es ein Regisseur heute nicht leicht: Wie kann man die Geschichte vom alten, weibergierigen Falstaff, der sich an verheiratete Frauen ranmacht und sich dabei selbst überschätzt, dem heutigen Publikum als lustiges Singspiel verkaufen? David Bösch ist das vorzüglich gelungen. Die Inszenierung sprüht vor kleinen Einfällen, die neben der vorgegebenen Handlung passieren.

Und er hat ein Star-Aufgebot an Sänger-Darstellern zur Verfügung. Da sind zuerst die beiden „lustigen Weiber“: Mandy Fredrich (Frau Fluth) und Michaela Schuster (Frau Reich), die männlichen Weltstars René Pape (Sir John Falstaff) und Michael Volle (Herr Fluth). Neben dem hochkarätigem Gesang spielen sie auch vorzüglich und haben zu sprechen – und zwar jeder in seinem Heimatdialekt. (Das war Mandys „Regie-Idee“). Also Mandy Fredrich, die aus Rädigke stammt, berlinert wie es im Fläming üblich ist und Michaela Schuster spricht Fränkisch.

Der Regisseur versetzt die Handlung in die 1970er/1980er Jahre, in eine leicht runtergekommene Vorstadt-Bungalow-Siedlung, wo neben den großen Glasschiebetüren die Grillgeräte stehen und an den Wäschespinnen die Synthetikwäsche hängt. Es gibt Mobiltelefone, die so groß und schwer sind wie Ziegelsteine. Man erwartet eigentlich, dass eine LP mit Partymusik von James Last aufgelegt wird. Nur mit Alkohol kann man das ertragen: die öden Grillfeste der Nachbarn, vernachlässigte Blumenbänke, weiße Tennissocken an Männerfüßen, langweilige Ehen. Da kommt doch so ein Brief vom abgehalfterten Sir Falstaff, der heute vielleicht von Hartz IV leben würde, gerade recht. Er will sich an die Nachbarinnen ranmachen. Der gleich lautende Brief an beide verrät ihn als notgeilen Schwerenöter, der das Leben noch nicht abgeschrieben hat. Statt in einem Gasthaus sitzt er hier am Beckenrand, dessen Schaumkronen ahnen lassen, dass der Pool lange keine Reinigung mehr erfahren hat. À la Ballermann flößt er sich per Schlauch den Alkohol ein und singt dazu sein Trinklied: „Als Büblein klein an der Mutterbrust“. Später kommt er angeranzt, wie er ist, im fettigem Feinripp-Unterhemd und mit überhängendem Schmierbauch, bauchnabelfrei und in zu kurzen Hosen zu den vorgespielten Rendezvous der Frauen. (Réne Papes Schwabbelbauch ist natürlich ein „fleischiger Fettanzug-Überzieher“. Bei der Premierenfeier hinterher war er wieder schlank.)

Und wie war Mandy? Sehr komödiantisch, hoch präsent als weibliche Hauptfigur, höhensicher in ihren Koloraturen, ein Ohrenschmaus – und mit dickem Bauch, auf dem immer gezeigt wurde. Statt des billigen Schaumweines greift sie zur Gewürzgurke, ggf. auch mal mit Sprühsahne verfeinert. Sie darf sich öfter in die Plastikstühle fallen lassen. Und am Ende der Oper setzen die Wehen ein. Der Vater (Ist er wirklich der Vater?) wird ohnmächtig. Der Vorhang fällt.
Eine Dame aus dem Publikum fragte sich: Ist die Frau Fluth etwa wirklich schwanger? Die Antwort: Ja, in gut zwei Monaten wird Mandy ihr 2.Kind erwarten.

Die nächsten Vorstellungen in der Staatsoper Berlin: SA 05.10., MI 09.10., FR 11.10., SO 13.10., SA 19.10. (Es gibt noch einige Karten) und dann noch 4x in der Saison 2020/21.

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