Chile zu Gast in Garrey

Potsdam-Mittelmark, Garrey. Gabriele Eissenberger hat eine besondere Verbindung zu Chile. Die heute 68 jährige hat viele Jahre ehrenamtlich als auch hauptberuflich für Amnesty International gearbeitet. Sie ist in einer Zeit aufgewachsen, in der sich junge Leute über vieles aufgeregt haben. Da sie sich politisch nicht so gut auskannte, entschloss sie sich, bei Amnesty International anzufragen, um etwas zu lernen. „Nach einiger Zeit wusste ich etwas mehr als andere“, erzählt sie. Nun war die Frage, welcher Arbeitsgruppe sie sich anschließen sollte. Sie entschied sich für die, welche Gefangene in Chile betreute.

Unter Pinochet in Chile

Dazu lebte sie auch einige Zeit in Chile, spricht noch heute perfekt spanisch. Bei ihrem Aufenthalt in dem südamerikanischen Land lernte sie alle Facetten des dortigen Lebens kennen. Sie lebte in unterschiedlichen Verhältnissen, von Armenvierteln bis zu Vierteln der Reichen. Und das alles unter der Diktatur von Pinochet.

Jeder erinnert sich wohl noch an den Militärputsch 1973 und den damit verbundenen Tod des damaligen Präsidenten Salvador Allende. Eine weltweite Solidaritätswelle wurde ausgelöst. Während diese in der ehemaligen DDR sozusagen staatlich verordnet war, bildeten sich in der BRD einzelne Gruppen mit Unterstützung der Gewerkschaften und vor allem der Hans-Böckler-Stiftung. Deren Stipendiaten gaben damals 1% ihres Stipendiums ab, die Stiftung selbst legte noch einmal dieselbe Summe drauf. So war Geld für die Hilfe vorhanden.

An einem Strang

Wenn auch DDR und BRD unterschiedliche Weltanschauungen hatten, in diesem Punkt zogen sie am gleichen Strang. Um Geld aus der Stiftung erhalten zu können, mussten die Gruppen Anträge stellen. Diese wurden geprüft, denn auch unter denen gab es schwarze Schafe, die in die eigene Tasche wirtschaften wollten. Auch waren Mitarbeiter des Verfassungsschutzes stets präsent, in fast jeder Gruppe wurden Spitzel entlarvt. Anfangs wurden die Gelder hauptsächlich für Stipendien verwendet. Wenn Arbeit oder ein Studium nachweisbar waren, bekam man schneller ein Visum. War ein Aufnahmeland vorhanden, konnte die Strafe in Chile laut damaligem Gesetz in einen Landesverweis umgewandelt werden.

Eduardo Lizama war einer von ihnen. Zur Zeit der Diktatur war er Student. Am vergangenen Samstag war er in Garrey zu Gast und berichtete über sein Leben. Eduardo Lizama konnte in Deutschland weiter studieren und beherrscht die Sprache perfekt.

Innere Verbannung in die Wüste

Er und andere merkten, dass es nicht richtig läuft in ihrem Land und sie etwas tun müssten. So engagierte er sich in der Studentenbewegung. Irgendwann wurde er bei seinen Aktivitäten erwischt und in die sogenannte innere Verbannung geschickt. Das bedeutete, leben in einem kleinen Dorf mitten in der Wüste Chiles. Die Einwohner dort waren eingeschüchtert von der Propaganda Pinochets, aber einige widersetzten sich trotzdem. „Für einen Teil des Dorfes war ich der Teufel“, so Eduardo, aber er erfuhr auch Unterstützung. Eine Familie gab ihm ein Zimmer und etwas familiäre Wärme. Die Situation spitzte sich zu, viele Studentenvertreter, wie auch Eduardo einer war, wurden verhaftet, getötet oder verschwanden einfach spurlos. So fragte er sich oft: wann bin ich dran? Zudem war seine Frau hochschwanger, an ruhiges Schlafen in der Nacht war nicht mehr zu denken. Bei jedem Geräusch klappender Autotüren dachte man: jetzt kommen sie dich holen.

Solidarität mit Chile

Von einer Woche auf die andere ergab sich dann die Möglichkeit, nach Berlin (West) zu gehen, die Eduardo nutzte. Die Zuhörer interessierte vor allem, ob man denn so einfach ausreisen konnte. Das war kein Problem, wie Eduardo Lizama erzählt, war ein Visum vorhanden, ging das. Schwieriger war es mit dem Verfassungsschutz in Deutschland, dieser prüfte oft wochenlang. Andere Länder, wie z.B. Großbritannien, waren da schneller. Die Regierung in Chile folgte da einer besonderen Logik: entweder eingesperrt oder raus, nur keine Unruhe verursachen. Vor allem erschienen Verbannte auch nicht auf den Gefangenenlisten, was internationale Proteste hervorrief.

Die Solidarität mit Chile trieb mitunter jedoch auch seltsame Blüten. In der ehemaligen DDR war das Doping der Sportler, ob wissentlich oder unwissentlich, vom Staat angewiesen und unterstützt. Diese Dopingmittel wurden an chilenische Gefangene geschickt. Der Grund ein makabrer, mit dieser Hilfe sollten sie die erste Folterphase überstehen.

Aber nicht alle konnten ins Ausland gehen.  Besonders die Frauen blieben zurück. Inge Knothe aus Berlin erzählte zur Ausstellungseröffnung im „Weißen Raben“ in Garrey von ihren Erfahrungen in Chile. Sie hat bei ihren Besuchen in Chile vor allem Frauengruppen besucht. Viele Frauen in den Armenvierteln mussten allein für ihre Kinder sorgen und konnten sie kaum über Wasser halten. Ihre Männer waren Inhaftiert, „verschwunden“ oder einfach nicht da. Das Geld, welches sie für die von der Diktatur verordnete Arbeit bekamen, reichte nicht einmal die Hälfte des Monats.

Arpilleras – Bilder aus Stoff

Man fand sich zusammen, anfangs ging das nur unter dem Dach der Kirche, und überlegte, wie man die Situation verbessern könnte. So entstanden Werkstätten, in denen sogenannte Arpilleras, was so viel wie Sackleinen bedeutet, angefertigt wurden. Das sind Bilder aus Stoff, zwei und dreidimensional, welche die Situation der Menschen in Chile darstellte. Ihre Sorgen, Ihre Nöte, aber auch Bilder des Widerstandes, von Verhaftungen und auch Folterszenen. Im Land selbst konnte man diese nicht verkaufen, sie waren ein Dorn im Auge der Militärjunta. Also blieb nur das Ausland. Inge Knothe schmuggelte eine Vielzahl von Bildern nach Deutschland, noch heute besitzt sie einen ganzen Koffer voll. Der Erlös ging wieder nach Chile zurück und wurde dort für die verschiedensten Projekte verwendet. So überredeten die Frauengruppen Medizinstudenten, einmal wöchentlich kostenlose Sprechstunden abzuhalten, Schuluniformen wurden genäht, ohne die durfte man nicht zur Schule gehen, man kochte und aß gemeinsam.

Bilder aus Stoff – Austellung in Garrey

Eine Vielzahl der Arpilleras sind derzeit in Garrey zu sehen. Es sind alte Bilder aus den 70 er Jahren dabei, aber auch schon neue, welche die heutige Situation darstellen. Letztere wurden von Patricia Munoz angefertigt. Sie verarbeitet nicht nur Situationen aus Chile selbst, sonders ist inzwischen international. So findet man in der Ausstellung zum Beispiel Bilder über die Flüchtlingslage und den Krieg in Syrien. „Eigentlich müsste man auf manche Bilder einfach nur ein paar Boote dazu machen, schon wären sie aktuell“, so Gabriele Eissenberger. Ihr geht es vor allem auch darum, was man heute tun kann. Denn Chiles neoliberales Wirtschaftssystem ist gescheitert. Aber anders als früher, gehen die Menschen jetzt auf die Barrikaden und sagen: wir lassen uns das nicht mehr gefallen. Bei der Gewerkschaft Ver.di gibt es eine Gruppe, die sich für Leute ohne Papiere einsetzt. Dort will man sich einbringen. Denn die Bilder in Garrey sind nicht nur zum Anschauen da, sie können auch käuflich erworben werden. Wer also eines dieser Unikate erwerben möchte, kann die Ausstellung bis zum 09.September, freitags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr besuchen.

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