“Was bewegt Dich?” – Interview mit Gräfin Anna von Lüttichau aus Zipsdorf

Reetz, Zipsdorf. Fläming 365 und Zauche 365 fragen 30 Menschen, was sie aktuell besonders bewegt. Unser Ziel ist eine Momentaufnahme des Denkens und Fühlens der Menschen in der Region, insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der in der Folge auftretenden Probleme und Konflikte. Wir wollen Leserinnen und Leser zum eigenen Nachdenken anregen.

Interviewpartnerin bei diesem Interview ist Gräfin Anna von Lüttichau, 83 Jahre alt. Sie ist gelernte Johanniter-Krankenschwester und wohnt im Forsthaus Zipsdorf.

Was bewegt Sie im Moment?

In erster Linie mein Wohnen hier in Zipsdorf. Ich bin froh, dass ich so ruhig und gemütlich alt werden kann. Dafür bin ich sehr dankbar und denke oft darüber nach. Ich genieße es, hier meinen Frieden zu haben. Dann gehen die Gedanken oft in meine Kindheit zurück, zu Krieg und Vertreibung. Ich bin in Königsberg geboren, was heute zu Russland gehört. Mit fünf

Jahren kam ich nach Pommern auf den Besitz meines Vaters. Dort haben uns dann die Russen überholt.

In der derzeitigen Lage, auch in Bezug auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind das sicher schwere Erinnerungen?

Ja, es sind Gedanken, die jetzt häufig kommen. Zumal wir immer das große Ziel hatten, einmal zurückzukehren. Aber das durften wir ja nicht. Selbst nach der Wende hätten wir nur 49% unseres damaligen Besitzes zurückkaufen dürfen. Die Rechtsunsicherheit hielt uns davon ab. Heute ist es oft so, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, gar nicht zurück in ihre Heimatländer wollen.

Wie denken Sie über diesen Krieg, was bewegt Sie diesbezüglich?

Vorrangig, dass man nichts tun kann gegen die Idiotie, Machthunger und Gier der Russen. Nach jedem Krieg gab und gibt es ausgedehnte diplomatische Verhandlungen – warum macht man sowas nicht gleich? Zu leiden hat die Bevölkerung; die, die das alles veranstalten, sitzen in ihren warmen Stuben. Es ist so schlimm, dass man nichts gegen die Ursache dieses Krieges tun kann, obwohl man Lösungen sehen würde. Wir können nur die Symptome in Form von Spenden oder Aufnahme von Flüchtlingen bekämpfen.

Und die Politik?

Auch die derzeitige Politik unserer Regierung läuft nicht in die richtige Richtung. Man macht die Wirtschaft kaputt, besonders den Mittelstand. Es wird immer alles begründet mit Fachkräftemangel, aber wir können doch selbst ausbilden, wir haben es doch früher auch alles gelernt. Auch in der Zusammenarbeit von Landwirten mit Natur- und Umweltschutz muss sich dringend etwas bewegen. Kein Landwirt wird mutwillig seinem Acker schaden, denn er lebt ja davon. Und die Landwirte ernähren die Bevölkerung.

Und wie sehen Sie die Lage auf den Dörfern, besonders im Landkreis und in Reetz? Fühlen Sie sich manchmal einsam im abgelegenen Forsthaus?

Ja, manchmal schon. Aber ich fühle mich nicht verlassen. Mein Hund ist ein guter Gefährte für mich. Aber mit der Zeit sterben meine Kontakte im Dorf weg. Ich hab’ zwar immer noch viele, aber nicht wirklich welche, wo ich einfach mal so hingehen kann. Obwohl ich sagen muss, dass ich immer Hilfe bekomme, wenn ich sie brauche. Da kann ich an jeder Tür klingeln. Durch meine Schwerhörigkeit bin ich zusätzlich, grade auch gesellschaftlich, eingeschränkt. Ich gehe zwar zu Treffen und Veranstaltungen, damit ich mich zeige, kann aber nicht viel von den Gesprächen verstehen. Ja, manchmal ist es schon etwas einsam, da sehe ich tagelang manchmal nur den Postboten. Zum Glück habe ich ein Tablet und halte so Kontakt mit Kindern und Enkeln. Denn auch telefonieren kann ich nicht mehr richtig. Ich verstehe nur Bruchstücke und muss diese dann mit eigenen Gedanken ergänzen. Aber ich genieße das Leben hier draußen.

Ist das Kirchenleben, Sie sind ja sehr christlich, ein Halt für Sie?

Leider ist dieses inzwischen so gut wie eingeschlafen, da viele bereits verstorben sind. Wir waren mal 16, die sich regelmäßig getroffen haben. Ich habe versucht, den alten Kreis wieder zu beleben, aber ohne Erfolg. Auch im Dorf gibt es viele Vereine und Zusammenschlüsse, und ich sage immer wieder: macht doch mal gemeinsam etwas für das Dorf.

Welche Gedanken bewegen Sie in ihrem persönlichen Leben?

Ich empfinde ganz viel Dankbarkeit für das, was ich erleben durfte. Und dass ich hier wieder eine Heimat gefunden habe. Darunter habe ich sehr lange gelitten, dass ich die nicht wirklich hatte. Ich hoffe, dass ich noch lange hier selbstständig leben kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

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