Bad Belzig. Zum Jahresende hatte „Fläming 365“ Gelegenheit, ausführlich mit Gerlinde Kempendorff über ihre sonstige Arbeit, über das abgelaufene Jahr im KleinKunstWerk und dessen Zukunft zu sprechen.
KleinKunstWerk, und was gibt es sonst noch?
Andreas Trunschke: Was macht Gerlinde Kempendorff, wenn sie nicht gerade hier im KleinKunstWerk tolle Veranstaltungen macht?
Gerlinde Kempendorff: Ich bin viel unterwegs, weil das Jahresende momentan meine Hauptarbeitszeit ist, um Geld zu verdienen. Ich habe ja nicht nur das Kleinkunstwerk gegründet, sondern auch eine Firma, die da heißt KIKK-Kempendorff Privatinstitut für Kommunikation und Kultur. Und in diesem Zusammenhang tanze ich auch auf mehreren Hochzeiten, um mein teures Hobby, Theater und Kleinkunst, zu finanzieren.
Außerdem muss man auch mal sagen, dass auch 40 Jahre relativ erfolgreiche Bühnenkarriere nicht unbedingt dazu beitragen, die Alterssicherung so zu gestalten, dass ich mein Leben so weiterleben kann, wie bisher. Aber ich bin auch bereit dafür zu arbeiten, weil ich das gerne tue, und weil ich offensichtlich mit dieser Art von Arbeit vielen Menschen quer durch alle Berufsgruppen helfen kann.
Andreas Trunschke: Was machst du da konkret?
Gerlinde Kempendorff: Ich schule einerseits Führungskräfte von Hamburg bis München, Stuttgart, Köln, Berlin, Frankfurt (Oder), wo immer ich angefragt werde. Ich zeige ihnen, wie das so ist mit den „Schlüsselkompetenzen“. Die Seminare häufen immer am Jahresende, wenn die Firmen dann noch Geld für außerfachliche Weiterbildung übrighaben. Deshalb ist das momentan meine arbeitsintensive Zeit. Wir veranstalten auch Mixgruppen, aber auch spezielle Seminare nur für Frauen in Führungspositionen – natürlich alles sehr kleine Gruppen.
Wir heißt: Ich arbeite sehr eng mit einer Hamburger Agentur – stagement – zusammen, die von Christian Rangenau geführt wird. Wir haben uns vor 13 Jahren zusammengefunden, weil wir den gleichen Ausgangspunkt haben, uns mit Sprache zu beschäftigen. Wir kommen beide vom Theater. Das ist ein anderer Ansatzpunkt als Sprachwissenschaftler haben. Dadurch haben wir den großen Vorteil, dass wir „das Spiel“ als Grundlage sehr ernsthaft betreiben und auch als Möglichkeit ansehen, etwas spielerisch im ernsthaften Sinne rüberzubringen. So erreichen wir Menschen. Sie hören uns dann besser zu. Selbst wenn die Zahlen, Daten, Fakten furchtbar langweilig sind oder es um negative Nachrichten geht – zum Beispiel große Probleme in Arbeitsabläufen – kann man durch eigene Begeisterung und Ausstrahlung kann es so darstellen, dass es interessant wird. Und das ist das Spannende: Inhalte interessant rüberbringen. Das macht mir großen Spaß.
Andreas Trunschke: Kannst du das bitte noch näher erläutern?
Gerlinde Kempendorff: Ich habe, wie gesagt, von der Büroleiterin bis zum Rettungshelfer alle dabei, die mit Kommunikation ihre Arbeit machen müssen und mit besserer Kommunikation ihren Arbeitsalltag erleichtern wollen. Den Unterschied muss man natürlich erkennen wollen. Mir hat mal jemand gesagt: ‚Ja, ich rede doch richtig.‘ Tatsächlich, das tun die Menschen. Sie tun das nur immer nicht sehr wertschätzend und oft schon gar nicht spannend oder begeistert, motivierend oder eloquent.
Wir müssen dazu den richtigen Gebrauch unserer Sprache einsetzen, die ja Zeichen hat, die wir beachten sollten. Diese Zeichen werden in der Sprechsprache oft nicht beachtet. Und dann kommt es eben zu dem, was große Schwierigkeiten macht, vor allen Dingen in Wirtschaftsabläufen. Es gibt Missverständnisse. Das ist ein großer Teil meiner Arbeit, mit der ich Geld verdiene, die mir aber auch großen Spaß macht, weil ich Leuten helfen kann, effizienter zu arbeiten.
Andreas Trunschke: Wie ich dich kenne ist das aber nicht alles, was du machst, oder?
Gerlinde Kempendorff: Richtig. Ich bin im Auftrag des Senats von Berlin in der Lernförderung an Brennpunktschulen unterwegs. Mit mittlerweile sieben Mitarbeiter: Bibliotheksaufbau und Bibliotheksführung, LeseSchreibWerkstätten, AG’s zu verschiedenen Themen…
Dazu gehört auch Lernförderung in ganz kleinen Gruppen ukrainischer u.a. Flüchtlingskinder und, und, und… Ich bringe seit sechs Jahren jedes Jahr, wenn das Schuljahr zu Ende ist, ein Buch mit Geschichten der Kinder heraus. Die Kinder sind natürlich total stolz darauf, dass jetzt ihre Geschichte gedruckt ist!
Das ist mein anderes Standbein. Und schließlich gibt es jetzt zunehmend – darüber freue ich mich besonders – eine Kopplung zwischen diesen Berufen und dem KleinKunstWerk hier in Bad Belzig. Denn es kommen zunehmend Seminargruppen oder auch einzelne Menschen hierher, die im Theater – mal in ganz anderer Umgebung – genau so etwas trainieren wollen. Das macht mich besonders glücklich.
Tiefe Corona-Schneise in die Kleinkunst
Andreas Trunschke: Schön, dann sind wir jetzt bei der Kleinkunst. Wie siehst du den Stand der Kleinkunst jetzt nach Corona in Deutschland? Du kennst ja viele Künstlerinnen und Künstler.
Gerlinde Kempendorff: Ja, ich kenne viele. Die Corona Krankheit hat eine tiefe Schneise in die Kleinkunst gerissen. Ich meine wirklich Kunst im kleinen Raum. Ich meine nicht die XXL-Comedianshows, die in Hallen vor 12.000 Leuten und im Fernsehen viel Geld verdienen. Die meine ich nicht. Das ist nur die Spitze – wobei das nicht immer mit guter Qualität gleichzu-setzen ist. Ich meine die, die mit sehr viel Arbeit ihre Brötchen verdienen. Von denen sind viele in ihre ursprünglichen Berufe zurückgegangen. Sei es Optiker:innen, sei es Lehrer:innen, sei es wie auch immer, manche räumen auch nachts Regale im Supermarkt ein, um über die Runden zu kommen. Oder sie mussten in die Grundsicherung gehen. Was mir persönlich sehr leid tut, muss ich ehrlich sagen. Gerade junge Leute, die sich noch nichts zurücklegen konnten.
Ich habe auch gerade wieder vorige Woche von einem Künstler gehört, der heute noch diese 5.000 Euro, die der Staat vor drei Jahren ihm großzügig überlassen hat, zurückzahlt, weil er in dem Jahr zuvor, nachdem das berechnet wurde, nicht sehr viel verdient hat. Es wurde ja nur das Jahr zuvor als Grundlage gelegt. Ich glaube, da wurde sehr viel falsch gemacht, weil die Großen, die viel verdient haben, natürlich auch viel bekommen haben und viel behalten durften. Und die Leute, die echt kleine Brötchen backen, sehr fleißig sind und sehr kreativ sind und die ja eigentlich auch in Deutschland dieses Bunte der Szene in der noch vorhandenen Kleinkunstszene ausmachen, von denen sind viele uns verloren gegangen.
Ein Blick zurück auf das KleinKunstWerk im Jahr 2023
Andreas Trunschke: Das Jahr geht jetzt langsam zu Ende. Auch im KleinKunstWerk ist der letzte Vorhang für dieses Jahr gefallen. Wir waren für deine Bühne das Jahr 2023?
Gerlinde Kempendorf: Wir haben Ostersonntag angefangen. Das werden wir nächstes Jahr zum Beispiel ändern. Wir fangen auch im April an, aber erst Ende April. Früher kann es noch so richtig kalt sein, und über Winter können wir nicht heizen. Also fangen wir erst Ende April an.
Im Mai, Juni, da geht es richtig los – dachte ich. Doch die beiden Monate waren so schlecht besucht, dass ich gedacht habe, ich höre auf. Also es ist ein Riesenaufwand, den wir hier betreiben. Und wir sind ja nun auch nicht mehr die Jüngsten, also mit 68 und 83 so ein Theater zu betreiben, mit Putzen, mit Räumen, mit Kaffee kochen, mit Kuchen backen, na also was auch immer, das ist schon auch sehr viel körperliche Arbeit. Andererseits natürlich auch sehr viel Freude, weil die Leute sich so freuen. Und wenn das nicht genug zurückkommt, dann muss ich ehrlich sagen: ‚Nö, habe ich dann keine Lust.‘
Andreas Trunschke: Aber es ist danach besser geworden?
Gerlinde Kempendorff: Mit Juli fingen die Besuchezahlen an, richtig hochzugehen. Im Oktober hatten wir zum Beispiel das erste Mal überhaupt in 13 Jahren Kleinkunst 91 angemeldete Besucher. Also ich spreche noch gar nicht von denen, die ich wegschicken musste, die ja immer so vorbeikommen. So ein Echo macht mich natürlich wahnsinnig glücklich. So hätte ich es gerne wieder. Und so war es ja auch vorher – vor Corona – schon. Also nicht jedes Mal 90, aber zwischen 70 und 80 hatten wir jede Vorstellung.
Andreas Trunschke: Hoffen wir, dass es wieder wird.
Gerlinde Kempendorff: Vielleicht wird es. Vielleicht hat es sich auch wieder rumgesprochen, dass wir immer noch bei den alten Preisen sind. Also ich war hier neulich im Kindertheater. 15 Euro Eintritt für ein Kind und 18 für einen Erwachsenen. Oma war mit 5 Kindern da: Puhhh! Wir sind im KKW immer noch bei der Bitte, 10 Euro pro Person zu spenden. Also wenn die, die nur die 4 Euro haben, die auch nur reintun, hmmmm – okay. Akzeptieren wir auch. Es gibt aber Gott sei Dank viele, die den Wert der Kultur zu schätzen wissen und mittlerweile 15, 20 Euro reintun, machen sogar 50 – das hilft uns, die Künstler:innen zu bezahlen. Dann gleicht das die anderen ein bisschen aus. Geld verdienen können wir damit eh nicht für uns. So ist das ja auch nicht gedacht – aber der Verein muss natürlich existieren und das kostet, brauche ich niemanden erzählen. Energie, Wasser und natürlich auch Versicherungen, GEMA-Kosten (Lizenzen) usw. Alle, die ein Haus haben, wissen, was ich meine. Aber momentan kommen wir gut durch, weil wir auch eine Spielplanförderung in 2023 nach Corona erhalten haben. Wenn das 2024 wegfällt, muss ich einige Veranstaltungen wahrscheinlich absagen. Abstriche am künstlerischen Anspruch mache ich nicht. Ich finde ja, es sollten sich die ansässigen Betriebe und Unternehmen mehr für die Kultur engagieren: Handwerk, Supermärkte, Apotheken – Kultur ist ja ein wichtiger Beitrag zur Demokratie.
Ausblick auf das KleinKunstWerk im kommenden Jahr
Andreas Trunschke: Was erwartet dann das Publikum im nächsten Jahr?
Gerlinde Kempendorff: Nächstes Jahr wird wahnsinnig schön, weil ich mir „erlaubt“ habe, nur „Bonbons“ einzuladen …
Andreas Trunschke: Bonbons?
Gerlinde Kempendorff: Exzellente Kolleg:innen, auf die ich mich jetzt schon wahnsinnig freue. Einige Bachstelzen-Gewinner:innen sind darunter, unter anderem die Podewitz-Brüder und natürlich die Bachstelzengewinner:innen Andy Steil, Alice Köfer (Enkelin von Herbert Köfer!) und Mai Horlemann. Und viele andere. Alle haben schon zugesagt. Unter anderem aber auch jemand, mit dem ich nie gerechnet hätte, dass er in mein kleines Theater kommt. Ich habe ihn in diesem Sommer in Schmerwitz bei den Brandenburger Sommerkonzerten gesehen. Da ist mir eingefallen, dass ich vor 30 Jahren mit ihm zusammen auf der Bühne des GOP-Varietés in Hannover stand. Ich bin nach seinem Auftritt zu ihm gegangen, habe gesagt, du kennst mich nicht mehr, aber ich habe dich wiedererkannt und ich schreibe dir jetzt mal, ob du hier zu uns ins KleinKunstWerk nach Bad Belzig kommen würdest. Und der Mann ist ein Weltstar: Peter Shub. PETER SHUB, Preisträger beim Monaco-Zirkusfestival und international bekannt. Eigentlich ist unsere Bühne zu klein. Aber er hat gesagt, er kommt. Und zwar am 9. Juni. Man kann sich den Termin schon einschreiben. Er ist genau wie vor 30 Jahren: Immer noch genial, nur eben 30 Jahre älter – wie ich. 🙂
Man wird ja noch träumen dürfen
Andreas Trunschke: Und du selbst? Welche Veranstaltung würdest du unbedingt noch einmal machen, beziehungsweise selbst auf der Bühne stehen?
Gerlinde Kempendorff: Ich würde mich künstlerisch mit großer Freude irgendwo einbringen, wo ich nicht die Verantwortung hätte. Sprich, wenn jetzt eine Filmproduktion oder ein Theaterstück käme und sagte, Du, wir brauchen da eine verschrobene Alte oder eine Hexe. Ich habe ja mit Vorliebe Hexen-Rollen gespielt, weil das Böse immer vielschichtiger zu spielen ist, als das Gute. Da würde ich sofort einsteigen.
Ich habe meistens Eigenproduktionen gemacht. Fast immer. Friedrichstadtpalast, Lindenoper und Wintergarten natürlich nicht und das war immer für mich ein großer Spaß. Eine Eigenproduktion habe ich ja im letzten Jahr noch einmal gemacht mit dem Marionetten – Projekt „Heinz und Heidi“. Nächstes Jahr bin ich für was Neues schon zu spät dran. Da hatte ich nach Corona erst viel zu viel anderes zu tun, als dass mir ein neues Stück hätten einfallen lassen können. Man braucht ja da einen „Flow“, also man braucht die Zeit zum Schreiben. Aber bevor man die Zeit zum Schreiben hat, braucht man die Zeit zum Denken. Die Synapsen müssen „klapsen“, ehe man überhaupt zum Schreiben kommt. Und entweder es fließt oder nicht.
Mal sehen, ob ich 2025 was zu erzählen habe. Keine Ahnung. Es gibt da schon eine neue Puppe: Timmi, der Enkel von Heidi…
Andreas Trunschke: Letzte Frage. Du hast ja schon dein Alter erwähnt …
Gerlinde Kempendorff: Ich bin 68 Jahre alt geworden.
Andreas Trunschke: Damit stellt sich die Frage nach der Zukunft des KleinKunstWerkes. Wie sieht es in deiner Vorstellung in zehn Jahren aus?
Gerlinde Kempendorff: Das hat mich merkwürdigerweise neulich auch schon jemand gefragt. Wie ist denn deine Zukunftsplanung? Hast du jemanden, an den du das Theater weitergibst? Nein, habe ich nicht. Wenn ich tot überm Zaun hänge, dann erben das ja meine Söhne. Und ob die das brauchen können oder nicht, weiß ich nicht. Uli Kempendorff ist Musiker, Paul Wernicke hat die Wildnisschule Hoher Fläming. Die Enkel machen z.T auch schon Musik. Keine Ahnung. Und wenn sie es nicht brauchen können, wird es verkauft. Und es wird eine Whiskydestillerie oder irgendetwas anderes. Eine Autowerkstatt? War es vorher ja auch schon…
Andreas Trunschke: Wenn, dann bitte Whisky. Ich bedanke mich für das informative Gespräch und wünsche dir und uns mit dem KleinKunstWerk noch sehr viel Kunst und Kultur.
Dieses Interview entstand mit Unterstützung einer Künstliche Intelligenz. Ermöglicht wird uns dies durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Alle Artikel, bei denen KIs zum Einsatz kommen, kennzeichnen wir mit “KI” im Artikelbild.
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