Gabi Eissenberger

“Was bewegt Dich?” – Interview mit Gabriele Eissenberger aus Garrey

Garrey. Fläming 365 und Zauche 365 fragen 30 Menschen, was sie aktuell besonders bewegt. Unser Ziel ist eine Momentaufnahme des Denkens und Fühlens der Menschen in der Region, insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der in der Folge auftretenden Probleme und Konflikte. Wir wollen Leserinnen und Leser zum eigenen Nachdenken anregen.

Interviewpartnerin bei diesem Interview ist Gabriele Eissenberger, Unruheständlerin, 73 Jahre alt. Sie lebt seit 2010 in Garrey, ist Mitglied im Ortsbeirat und der Gemeindevertretung.

Was bewegt Dich im Moment, mal ganz spontan geantwortet?

Der ganze Zustand der Gesellschaft, die Demokratiemüdigkeit, aber auch die verbale Radikalisierung. Meine Familie stammt aus der Börde, und so kenne ich seit meiner Kindheit im Grenzgebiet West und Ost. Der Westen hat aus den Leuten hier nach der Wende einfach nur Konsumenten gemacht und keine Demokraten. Es wäre gut gewesen, nach der Wende richtige Werbeveranstaltungen zum Thema Demokratie zu machen, denn das war den Leuten hier ja eigentlich fremd. Da haben Politik und Verwaltung versagt und den großen Firmen ging es ja nur darum, Gewinne im Osten zu machen – jetzt bekommen alle die Quittung. Vor allem die Jugend wurde allein gelassen. So sind im Westen prozentual immer noch vielmehr Menschen parteipolitisch organisiert als hier, obwohl inzwischen durch eine Parteienmüdigkeit auch im Westen sich die Zahlen mehr und mehr angleichen. Den Ostdeutschen wurde ungefragt viel übergeholfen, das Wesen und die Grundlagen von Demokratie gehörten leider nicht dazu. Demokratie kann nur mit den Bestandteilen Transparenz, Toleranz und einem großen Maß von Engagement von „unten“ aufgebaut werden. Dazu gehören auch immer wieder Diskussionen, um einen Konsens zu finden, was nichts mit „Streiten“ zu tun hat. Der Westen hat nichts dafür getan, dass eine demokratische Kultur entstehen konnte.

Wie siehst Du den Ukrainekrieg?

Dass es so kam, war eigentlich keine Überraschung, aber mich erschreckt die „Qualität“ dieses Krieges. Da wurde mir klar, dass ich versäumt hatte, die politische Entwicklung genügend zu analysieren. Putin war schon immer ein Krieger, was aber auch mit der ganzen Geschichte Russlands zusammenhängt, schon seit dem Zarenreich. Andere europäische Länder haben Kolonien in anderen Kontinenten „geschaffen“, in Russland hat man diese in den Randgebieten gesucht, die später Republiken der  Sowjetunion wurden. Eine „Entkolonialisierung“ gefährdete dadurch direkt das russische Reich. Putin sieht sich weiter als Verwalter eines Großreiches. Vielleicht wäre es nicht soweit gekommen, hätte man die Krim damals unter UN-Kontrolle bringen können. Die derzeitigen Sanktionen bringen jedenfalls nicht den gewünschten Effekt.

Wie sollte man helfen?

Den Menschen muss geholfen werden, und auch ich versuche, mich nach meinen Möglichkeiten einzubringen. Die Ukraine ist ein Opfer der weltpolitischen Spielereien. Niemand sollte gezwungen werden, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Menschenrechte sind unteilbar. Wir versuchen, unseren Flüchtlingen im Ort zu helfen, wo es geht. Deshalb haben wir so vehement um die Buslinie X 2 gekämpft, damit sie zu Sprachkursen oder auch zur Arbeit kommen. Leider umsonst, wie es aussieht, aber wir geben nicht auf. – Besonders bedrückt mich die  Situation der Kinder. Wenn in unserem Dorf beispielsweise die Sirene geht wegen Unfall oder Brand, geraten die Kinder völlig in Panik, schreien und verstecken sich.

Welche Aufgaben siehst Du beim Land und Landkreis liegen?

Da läuft einiges schief. Politik und Verwaltung dürfen bei der Arbeit nicht weiter den Obrigkeitsstaat praktizieren, sondern müssen mit den Bürgern auf Augenhöhe kommunizieren und arbeiten. Jemand sollte in die Dörfer kommen und schauen, was dort die Bedürfnisse sind. Man muss die Leute mitnehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wie das geht, konnte ich auf einer kürzlichen Sozialraumkonferenz erfahren. Dort war jemand aus Schleswig-Holstein zugeschaltet. Schon seit 2007 wird dort erfolgreich nach diesem Prinzip gearbeitet. Warum sollte das nicht auch bei uns gehen? Das hat mich richtig beflügelt.

Und im privaten Bereich?

Ich bin endlich angekommen in Garrey. Es hat einige Zeit gedauert, hier Fuß zu fassen. Es gab Vorbehalte Fremden gegenüber. Also dachte ich mir, ich bring mich ein indem ich helfe. Das wurde anfangs als Einmischung missverstanden. Aber inzwischen bin ich mehr und mehr Mitglied der Dorfgemeinschaft. Da ich selbst zugezogen bin, finde ich auch leichter Kontakt zu anderen Zugezogenen. Da hat sich eine richtige Gemeinschaft entwickelt, wir hocken viel zusammen, reden über viele Themen und lachen über uns. Das Schöne ist, man kann sich gegenseitig helfen. Es gibt viele Ideen und Projekte im Ort. Ich fühle mich angenommen. Aber ich liebe auch gemütliche Stunden allein vor dem Fernsehen – links der Kater, rechts der Hund und dann schauen wir gemeinsam fern, mein Hund am liebsten Tierfilme. Den Hund nehme ich auch auf meinen Waldspaziergängen mit. Bisher haben wir den Wolf noch nicht gebissen (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch.

(Alle Was-bewegt-dich-Interviews auf Fläming 365 findest du HIER. Außerdem empfehlen wir dir auch die entprechenden Interviews auf Zauche 365)


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